Fotogalerie des Offenbacher LC


Das längste Wochenende des Jahres


Auch bei der diesjährigen (21.) Ausgabe des Brüder Grimm Laufs war sich die Laufgemeinde einig. BGL ist Kult. Nicht nur Yetis (diesmal nicht vertreten) und andere Schwaben, sondern auch Läuferinnen und Läufer aus allen Teilen Deutschlands versammelten sich in Hanau und dem Main Kinzig Kreis, um sich gegenseitig zu bestätigen, wie schön Masochismus sein kann.


Na ja nicht ganz, denn die ersten beiden Etappen, sind ja noch ganz lässig. Außerdem spielte das Wetter den Masochisten einen Streich. Will sagen, bei meinen bisherigen 6 Teilnahmen, war ich es gewohnt, bei 30 bis 350C im Schatten gegrillt zu werden. Dies war heuer anders. Temparaturen bis 200C waren nicht nur gänzlich ungewohnt, sondern gingen glatt als optimales Laufwetter durch.


Gut so!


Am Start der ersten Etappe erwarteten uns die gewohnten Zeremonien. Alte Bekannte grüßen, Small Talk halten und überhaupt. Es gab kein halten mehr. Die meisten simulierten einen lausigen Trainingszustand, wünschten sich viel Erfolg und glaubten sich gegenseitig kein Wort.


Björn gehört zu den wenigen, die sich dieses merkwürdig Ritual schenken. Bei dieser Tour ist er sowieso ein Phänomen. Nicht nur dass er einfach durch Leistung übezeugt, und diese auch noch richtig einzuordnen weis, sondern auch der Umstand, dass er mit seinen 18 Lenzen bereits die 7 Gesamttour in Angriff nahm, ist selbst für eingefleischte BGL-er durchaus ungewöhnlich.


Immerhin konnte er diesmal endlich den Titel des jüngsten Exoten an seine Schwester abgeben. Während andere Teenager Ihre Zeit mit Gleichaltrigen verbringen und zur Anhebung ihres Stimmungsniveaus häufig viel zu viel Alkopops schlurfen, verbrachte Anja ihren 16 Geburtstag damit, die 4. und 5. Etappe in Angriff zu nehmen. Dabei zeigte Sie manchen erfahrenen alten Hasen, was eine vernünftige Renneinteilung ist. So interpretiere ich zumindesten das mühelose Überholmanöver in der letzten Etappe, dem ich wirklich nichts mehr entgegen zu setzen hatte.


Doch nun zum Rennverlauf. Die erste Etappe von Hanau nach Niederrodenbach sollten noch niemanden vor große Probleme stellen. Was soll man schon auf einer 15,5 km langen Flachetappe falsch machen? Klare Antwort.


Alles.


Denn wer jetzt schon seine Körner verpulvert, darf darauf warten, ab der dritten Etappe nach hinten durchgereicht zu werden. Nur wie das richtige Maß finden? Dies ist oft genug eine Bauchentscheidung, denn wer verfügt schon über die Trainingserfahrung von 2 Trainingseinheiten pro Tag.


Mich interessierte das dieses Jahr auf dem Absatz. Ich war ganz auf Sightseeing eingestellt. Bewaffnet mit einer Einwegkamera wollte ich endlich einmal Bilder von der Strecke machen. Die bisherigen Bilder waren nämlich samt und sonders aus den Start- und Zielbereichen. Genau dies wollte ich jetzt ändern. Gleich zu Beginn machte ich die Erfahrung, dass man zum Fotografieren nicht nur stehen bleiben muß, sondern auch den rückwärtigen Verkehr im Auge behalten sollte. Will sagen: Gelegentlich lief jemand auf mich auf, weil von meinem fotografischen Trieb überrascht wurde. Hierfür möchte ich mich nachträglich entschuldigen. Immerhin habe ich daraus gelernt und meine späteren Bremsmanöver lautstark angekündigt.


Am Ende der ersten Etappe lag Björn auf dem 5. Platz. Das war genau 3 Sekunden schneller als sein letztjährigen Rivalen Frank Stephan von der LG Offenbach. Beide machten sich wohl insgeheim Hoffnung am Ende der Tour einen der ersten 3 Gesamtplätze einzunehmen. Die Spitze war noch in Reichweite und es sah gut aus für die Offenbacher Läufer.


Der Start der zweiten Etappe wartete mit einer Neuerung auf. Denn nicht das schnuckelige Rathaus sollte die Kulisse für den Startschuß in Niederrodenbach abgeben, sondern das spröde Flair der nüchternen Bulauhalle. Mir wurde mitgeteilt, daß diese Neuerung einigen Urinalexzessen aus der Vergangenheit zu verdanken war, über die man sich in der Altstadt not amused zeigte. Sei es drum. Denn ehrlich gesagt, außer der schönen Kulisse spricht nicht allzu viel für den alten Standort. Die Infrastruktur an der Bulauhalle ist in allen Belangen überlegen, so dass wir uns recht schnell mit dem neuen Startort anfreundeten.


BGL Neulinge bemmen ab der 2. Etappe einen ersten Eindruck davon, auf was sie sich hier eingelassen haben. Kleine giftige Anstiege in Oberrodenbach und natürlich der legendäre Käferberg, lassen eine erste vage Idee aufkommen, welchen Charme die kommenden Etappen entwickeln werden. Im Ziel gab es wie üblich Erfrischungen und den schnellsten Ergebnisdienst, den ich bisher erleben durfte. Kaum das ich im Ziel eine Banane verdrückt hatte, war selbst ich mit meinem 300 plus XXL-ten Platz ergebnistechnisch an die Wand genagelt. Ein Blick in die vorderen Regionen zeigte mir, daß Offenbach noch immer gut im Rennen lag. Björn und Frank kamen zeitgleich als 4. und 5. ins Ziel und hatten nach wie vor Tuchfühlung zur Tabellenspitze.


Nach dem Zieleinlauf erwartete uns eine weitere Erfrischung. Die Duschen. Wir Läufer nehmen es ja schon lange mit resignativer Gelassenheit zur Kenntnis, dass 3 von 5 Duschen kalt sind. Ein Ärgernis bleibt es jedoch trotzdem. Damit erschöpfen sich allerdings meine Kritikpunkte am BGL auch schon. Nicht jedoch meine Geschichten aus den Duschräumen.


So finde ich es jedesmal interessant, mit welcher Normalität die formale Duschentrennung von Männlein und Weiblein in der Praxis außer Kraft gesetzt wird. Ist ja auch kein Problem. Denn hier wird weder gebaggert noch lassen sich veräterische Zuckungen in den Genitalbereichen der (Herr)lichkeit erkennnen. (Letzteres gilt auch für die wenigen warmen Duschen.)


Doch dann stellte plötzlich ein besonders wohlgeformtes Exemplar der weiblichen Schöpfung die männliche Zurückhaltung auf die Probe. Dies veranlaßt mich hier und jetzt zu der Frage: „Meine Herren, wo schweiften denn Ihre Blicke hin?“ Jeder tat so, als wäre er ausschließlich mit seiner eigenen Körperpflege beschäftigt und schaute dabei so teilnahmslos drein, wie er konnte. Auffallend war nur: alle schauten in die gleiche Richtung. Also ich muß schon sagen. Doch bevor ich mir vornahm hierüber ein ernstes Wort mit dem Bischof zu reden, versicherte ich mich nochmal (unauffällig versteht sich), dass ich meine männlichen Laufkollegen nicht zu Opfern einer haltlosen Vorverurteilung machen würde.


Nach dem Duschen gilt es dann, sich möglichst schnell fit zu machen für die nächste Herausforderung. Dies geschieht i.d.R. mit Nudelsuppe, Kuchen und einem kurzen Nickerchen. Die dritte Etappe stand bevor und langsam stieg die Spannung. Jetzt konnte jeder für sich ausloten, ob er in den ersten beiden Etappen überdreht hatte oder (hoffentlich) alles richtig gemacht hat. Immerhin galt es knapp 17 KM abzuspulen. Eine langgezogene Steigung, ein ebenso langes Gefälle und eine nicht enden wollende ebene Strecke in Gelnhausen ließen zum ersten mal das Gefühl von Zähigkeit aufkommen. Jetzt mußte zum ersten mal auf die Zähne gebissen werden und der Zieleinlauf wollte hart erarbeitet werden. In der Ergebnisliste ließen sich erste kleine Veränderungen ausmachen.


Björn kam (nur!) als 10-ter ins Ziel während sich Frank noch immer unter den ersten fünf tummelte. Der Abstand zur Spitze war jedoch nicht wirklich gravierend angewachsen. Also kein Grund zur Panik. Das wird noch. Jetzt galt es erstmal den Abend zu genießen. Denn den gestalten die Macher des BGL jedesmal sehr kurzweilig und liebevoll. Wie schon in den letzten Jahren wurde zur Nudelparty in die nahegelegene Stadthalle geladen. Hier sollte sich auch diesmal zeigen, dass Läufer durch einen außergewöhnlichen Appetit auf sich aufmerksam machen. Die Nudeln waren schneller verschwunden als das Servicepersonal Nachschub besorgen konnte.


Nach dem kulinarischen abgewickelt war, erforderte nun der kulturellen Teil unsere ungegteilte Aufmerksamkeit. Geboten wurde eine altbekannte Balletgruppe sowie eine bisher unbekannte Streetdancer Truppe, die sich schnell und gründlich in die Herzen der Zuschauer wirbelte. Wie immer, war auch die von Jochen Herringhaus zelebrierte Tombola ein Genuß. Selbst die wenig begehrten Ladenhüter, wie z.B. das Kaffeservice Julia, wurden ohne größere Peinlichkeiten in Massen unters Volk gebracht. Zwischendrin wurden immer mal wieder Fundsachen an deren Besitzer zurückgegeben, die so aussahen (Zitat Jochen) „als wäre jemand darin gestorben“. Den Abschluß des Abends, bildete traditionsgemäß ein Märchen, daß Jochen als Alleinunterhalter den gebannten Zuhörern vortrug.


Der zweite Tag war rum und ein großer Teil der Läufer zog sich in die Turnhalle zurück um dort eine kurze Nacht bis zum Start der 4. Etappe zu verweilen. Für mich ist es die schönste Etappe, auch wenn ich damit nicht unbedingt den Geschmack der Mehrheit treffe. Klasse ist schon der Start am Gelnhäuser Obermarkt. Die schönste Kulisse der gesamten Tour. Spätestens jetzt ist die schlechte Laune, die einem der Muskelkater des Vortages hinterlassen hat urplötzlich verschwunden. Die Strecke führt überwiegend durch Wald was man speziell an heissen Tagen schnell zu schätzen weis. Heute war es zwar nicht heiß, der Wald gefiel aber auch so.


Auf dieser Etappe sind die meisten Höhenmeter zu bewältigen. So geht es von Beginn an in die Höhe und erst bei KM 7 geht es wieder ein Stück bergab um dann vor den 4 Fichten zum finalen KO Schlag auszuhohlen. Hier wird die müde Muskulatur durch eine endlos lange Steigung der feinsten Kategorie so richtig getrietzt. Damit nicht genug, denn irgendwie muß man ja auch wieder runter. D.h. Die Muskulatur mußte sich innerhalb kürzester Zeit auf ein gnadenloses Gefälle umstellen, das erst kurz vor dem Ziel in Wächtersbach in einen ebenen Streckenverlauf mündete.


Was Alp d`Huez für die Tour de France ist, ist Gelnhausen / Wächtersbach für den BGL. Spätestens hier wird gründlich ausgesiebt. Von unserer Truppe traf es leider Björn, der diesmal nur als 24. mit gehörigem Abstand zur Spitze ins Ziel trudelte. Damit war das Gesamtklassement für ihn aus dem Blickfeld geraten, was ihn verständlicherweis ordentlich wurmte. Sein Dauerrivale Frank hingegen, mischte immer noch munter vorne mit.


Die letzte Etappe stand bevor. Sie startet jedoch nicht von Wächtersbach sondern von Bad Orb. Das war schon immer so. Warum das so ist, habe ich nie rausgekriegt, aber es ist so. Egal in Bad Orb jedenfalls, prallen Welten aufeinander. Kurgäste, Dekadenz und ein wildentschlossener Läuferpulk versammeln sich zum Brunnenfest und vermutlich kann in diesem Moment kaum einer etwas mit der Lebensphilosofie der jeweils anderen Gruppe anfangen. Trotzdem kommt man gut miteinander aus, und die Läufer werden mit freundlichem Applaus auf ihre letzte Etappe verabschiedet. Und die hat es nochmal richtig in sich.


Nachdem wir einen Kilometer mehr oder weniger erholsam durch Bad Orb gelaufen waren, erwartete uns ein richtiger Hammer. Ein Anstieg von 1,5 km Länge, der keine Wünsche offen läßt. Angesichts eines wüsten Muskelkaters, mit dem sich die meisten Läufer spätestes seit dieser Etappe herum plagten, kam einem der Anstieg nicht nur 1,5 km lang sondern auch 1,5 km hoch vor. Ein Eindruck der natürlich trog. Nichtsdestotrotz ist es von allen Steigungen beim BGL die Giftigste. Es ist also kein Zufall, dass sich die meisten Teilnehmer diesen Abschnitt mit einer Gehpause versüßten.


Nun ist man ja als BGL-er einiges gewohnt und empfindet Steigungen durchaus als abwechslungsreich. Aber mußte dieser Buckel ausgerechnet hier stehen? Wer sich an diesem Hügel verausgabt hatte, tat gut daran gleich auf den Besenwagen zu warten. Denn nun sollte noch eine knackige Gefällstrecke (der Berg wäre in die andere Richtung auch nicht leichter zu laufen) sowie eine rund 13 km lange Flachstrecke bis nach Steinau folgen, für die wenigsten noch ein Minimum an Laufeleganz vonnöten war.


Doch allem Schnaufen und Fluchen zum Trotz packen es die meisten Jahr für Jahr, das Ziel in Steinau zu erreichen. Hier findet man denn auch einen Zieleinlauf vor, für den es sich lohnt noch ein paar Kilometerchen auf den Beinen zu bleiben. Große Zuschauermengen, eine rausgeputztes Städtchen sowie eine malerische Kulisse bilden wirklich einen würdigen Abschluß für das längste Wochenende des Jahres.


Das dachte sich wohl auch Björn und das ist auch der Grund warum ich ihn ständig erwähne. Er betrieb Frustbewältigung der besonderen Art. Getreu dem Motto wenn schon die 4. Etappe in die Hose ging, dann will ich wenigsten die Letzte gewinnen, rannte er los und blieb ganz vorne dabei. Den Ersten (Simon Reißmann) ließ er zwar ein wenig ziehen, holte ihn dann aber bis KM 17 wieder ein. Alle anderen hatten zu diesem Zeitpunkt nichts mehr mit dem Ausgang dieser Etappe zu tun. Doch auf dem letzten Km konnte er dem Tempo von Simon leider nicht mehr folgen, der sich damit nicht nur die Etappe sondern auch in würdiger Manier den Gesamtsieg sicherte. Für Björn kam jedoch immerhin ein respektabler 2. Platz heraus. Seinen fünften Gesamtplatz aus dem Vorjahr konnte er zwar nicht mehr verteidigen, aber auch Rang acht ist aller Ehren wert.


Etwas besser erging es Frank, seinem Konkurrenten von der LGO. Er dürfte mit seinem 4-ten Gesamtplatz sehr zufrieden gewesen sein, auch wenn es noch nicht mehr ganz für einen Platz unter die ersten Drei gereicht hat. Im großen und ganzen war das Abschneiden der Offenbacher Frontläufer jedoch sehr respektabel.


Bleibt nur noch ein Wort über die abschließende Siegerehrung zu verlieren. Anders als bei den meisten Läufen, harren die Teilnehmer bei dieser Siegerehrung aus. Nicht nur weil sie von Jochen Herringhaus durchgeführt wird, sondern auch, weil man einfach so lange gemeinsam gelaufen ist, dass man jetzt nicht einfach nach Hause gehen möchte.


So wurden denn die zahlreichen Anwesenden nicht nur Zeuge einer launigen Siegerehrung sondern auch Zeuge einer Ehrung für zwei alte Kämpfer die sich ca. 20 Jahre lang um den BGL verdient gemacht hatten. Gemeint waren Landrat Eyerkaufer und der bisherige Hauptorganisator (der Name ist mir leider entfallen). Beide gehen bzw. sind schon im wohlverdienten Ruhestand und haben deshalb genug Zeit sich auf den 22. BGL vorzubereiten. Das dachte sich auch das Organisationsteam und schenkte beiden jeweils einen Teilnahmegutschein für den BGL 2006. Spätestens dann werden wir erfahren, ob die Gutscheine auch eingelöst werden oder nicht.


In diesem Sinne, hoffe ich Alle beim nächsten BGL wiederzusehen und ein weiteres tolles Spektakel zu erleben.


Norbert Leiendecker